Interview Günther Jürß
Tagesspiegel: Wie wurde bei Ihnen der Krebs festgestellt?
Es ist so gewesen, dass im Rahmen einer Routineuntersuchung festgestellt worden ist, dass die Lymphknoten etwas vergrößert sind. Man hat dann ein entsprechendes CT gemacht, was das bestätigt hat. Aber die Lymphknoten befanden sich noch in einer Größenordnung unter zwei Zentimeter. Das ist ja so, dass man da eigentlich noch gar nichts vornimmt aus medizinischer Sicht, sondern im Prinzip dort abwartet und in bestimmten Abständen, also eigentlich sehr eng dann die Kontrollen durchführt. Ich habe dann noch ein weiteres CT gehabt in dem Jahr 2017. Dort wurde dann festgestellt, dass der Zustand sich nicht verschlechtert hat, aber mir angeraten wurde eine entsprechende Biopsie beziehungsweise ein Knoten zu entfernen und diesen dann auch histologisch begutachten zu lassen. Dort wurde dann festgestellt, dass es sich um ein langsam wachsendes Lymphom oder follikuläres Lymphom handelt. Und auch weiterhin erst einer Beobachtung nur unterzogen wird. Ich hatte dann einen weiteren Termin bei meiner Onkologin, das war kurz vor einer Urlaubsreise, wo eben wiederum eine Sonografie durchgeführt worden ist und im Prinzip gesagt worden ist: "Es ist der Stand wie vor einem Vierteljahr." So, und ich bin dann ja guten Gewissens auf die Reise gegangen und auf der Reise habe ich dann eine Thrombose bekommen, weil die Knoten so groß waren in der Leiste. Und als ich zurückkam, war der Knoten in der Leiste 4,7 Zentimeter groß. Dadurch war natürlich der Rückfluss des Blutes im Bein nicht gegeben und das ist zu einer Thrombose gekommen. Das Bein war auch geschwollen.
Tagesspiegel: Wen haben sie mit diesem Befund kontaktiert?
Ich habe dann mal wieder an die Charité gedacht, weil ich 2006 hier operiert worden bin an meiner ersten Krebserkrankung. Demzufolge war ich auch in der Datei der Charité und habe mich dann an Professor Bullinger hier in der onkologischen hämatologischen Klinik gewandt. Ich habe sofort einen Termin bekommen. Das war eigentlich recht unkompliziert und man hat dann noch einige Untersuchungen durchgeführt. Und war dann auch der Meinung, dass in irgendeiner Form therapeutische Maßnahmen erforderlich sind. Es wurde eine Chemotherapie anberaumt. Das ist die eine Therapie gewesen. Und hinterher oder als Folge ist dann nachher zwölfmal alle zwei Monate eine Erhaltungstherapie. Ich muss dazu sagen, dass die Erstgabe hier in der Charité erfolgt ist und die weiteren Chemotherapien und auch die Erhaltungstherapie in Rostock in einer onkologischen Praxis. Nach einer gewissen Zeit - die letzte Erhaltungsgabe war im Januar 2021- habe ich auch keine Beschwerden gehabt. Man ging davon aus, dass eine Remission erst mal besteht. Aber in irgendeiner Form muss es ja auch weiter dann entsprechend kontrolliert werden. Ich habe das Jahr 2021 ohne große Probleme dann, ich möchte mal sagen nicht überstanden, aber durchlebt. Das war auch eine schöne Zeit, weil man mal ein bisschen zur Ruhe gekommen ist.
Tagesspiegel: Dann ist der Krebs leider zurückgekommen. Wie haben sie das gemerkt?
Im Jahre 2022 merkte ich wieder, dass die Knoten sich in der Achselhöhle bemerkbar machen. Ich habe dann auch mit meinem Onkologen dort in Rostock gesprochen, der das ein bisschen abgetan hat. Da sagt er: "Das kann ja mal sein, dass sie ein bisschen größer sind." Und habe mich natürlich dann bewusst wieder an die Charité gewandt. Hier hat man dann das entsprechende CT durchgeführt und dann auch den Status eben von auch über vier Zentimeter. Die Knoten wieder im Thorax wie auch Abdomen waren in vielen Größenordnungen. Dann wurde nochmal ein Knoten entfernt
Und im Mai bemerkte ich schon wieder, dass sich die Knoten im Halsbereich entwickelten. Ich war zu dem Zeitpunkt auch gerade aus der Reha zurück, die ich abbrechen musste, weil ich dort Corona bekommen habe. Und wie gesagt, es ist dann auch dann erst so richtig, möchte ich mal sagen, katapultiert, die Knoten.
Bei der Chemotherapie ist es so, dass man doch sehr viele Nebenwirkungen hat. Ich war so weit, dass ich, ich kann das vielleicht mal sagen, ich kam einmal nicht mehr aus der Badewanne, weil ich keine Kraft mehr hatte und das sind dann solche Sachen, dass man doch dann viel Müdigkeit, Beschwerden hat. Und was dann auch ist, auch bevor eine Chemo begonnen wird, dass man durch diese Knoten, die vergrößert sind, sehr viel Schmerzen hat. Ich konnte zum Beispiel auch nicht laufen. Mein Weg war damals zu Hause immer bis zum Kanal Warnemünde und wieder zurück, da hatte ich schon Schwierigkeiten.
Tagesspiegel: Die Chemotherapien hatten nicht die erhoffte Wirkung und der Krebs kam zurück. Wie haben sie das erlebt?
Als dann in dem Jahr nach meiner Reha-Kur, nach der zweiten Chemo wieder ein Rezidiv, also der Krebs wieder zurückgekommen ist. Und das war ja, dass die Knoten am Hals sich so vergrößert haben, die waren dann auch schon wieder viereinhalb Zentimeter. Habe ich mich mit bei Frau Professor Nah einen Termin vereinbart und sie hat sich alles angeschaut, hat gesagt: "Herr Jürss, zweimal Rezidiv. Das haben wir die Möglichkeit, eine CAR-T-Zell-Therapie zu machen. Und es muss aber ganz schnell gehen.“
Für mich war zu dem Zeitpunkt als das zweite Rezidiv da war. Das war schon emotional für mich. Was wird? Du bist jetzt schon so weit. So viel Chemos und das ist ja eine ganze Menge gewesen, was ich schon bekommen habe. Und als mir Frau Professor Nah die Nachricht gebracht hat, dass wir eine CAR-T-Zell-Therapie erst mal ins Auge fassen, war ich eigentlich ein bisschen erleichtert, muss ich ganz ehrlich sagen. Weil ich wusste, was das für eine Therapie ist. Und da habe ich mich noch mal ganz tiefgründig damit befasst.
Ich hatte immer wieder die Gegenüberstellung Chemo und CAR-T-Zell-Therapie. Hier sind ja genmanipulierte Medikamente oder Infusion mir zurückgegeben worden. Also eigene Körperzellen, die im Prinzip durch Zugabe eines Gens genmanipuliert worden sind. Und hier viel gezielter auf die Krebszellen einwirkt. Aber das war für mich eigentlich jetzt das Positive, dass es hier wirklich besser für mich persönlich ist und war eigentlich optimistisch und voller Hoffnung.
Professor Dauer hat noch mal gesagt: "Alle anderen Chemos, das hat bei mir jetzt erst mal keinen Zweck mehr." Wenn man so lange etwas bekommt, dann ist der Körper, nimmt er das nicht mehr wahr. Und die CAR-T-Zell-Therapie hat da eine ganz andere Methodik. Und das habe ich / ich habe mich damit befasst. Habe auch immer nachgelesen, auch das Medikament KYMRIAH. Und das wird auch in der letzten Zeit, so muss ich das sagen, im Internet hauptsächlich sehr gut dargestellt. Man kann mehrere Seiten lesen dazu und die das auch sehr gut erläutern, auch gegenüberstellen. Und zu dem Zeitpunkt habe ich mich damit auch befasst. Und das ist auch schon immer, wie soll ich das sagen, mein Lebenselixier gewesen. Ich habe viel Wissen mir aneignen müssen. Ich war in einer Behörde für überwachungsbedürftige Anlagen, Prüfung, Genehmigung. Und da hat man sich doch viel mit neuen Sachen befassen müssen. Und sein Wissen muss man ja sein Leben lang immer noch ein bisschen erweitern. Und das habe ich eigentlich auch immer wieder gemacht und das war für mich sehr wichtig.
Tagesspiegel: Wie war für sie die Zeit bevor die CAR-T Zelltherapie dann beginnen konnte?
Diese drei Monate, muss ich natürlich sagen, das war ein richtiger Canossa Gang. Ich habe da so viele Beschwerden gehabt in der Zeit, aber das ist nachher so schnell wieder verflogen gewesen. Man muss eben auch ein bisschen durchhalten, nicht den Kopf hängen lassen. Und was hat der eine Stationsarzt zu mir gesagt? "Sie sind ein ganz schön harter Knochen", sagt er. Die haben bei mir so einige Sachen gemacht, wo ich hätte eigentlich aufschreien müssen. Aber das muss ein bisschen aushalten können. Man muss nicht gleich wehleidig sein.
Tagesspiegel: Wie war die Zelltherapie dann?
Der große Teil der CAR-T-Zell-Therapie ist ja die Vorbereitung. Und ich habe ja dann auch noch bevor die CAR-T-Zellen dann in den Körper gegeben worden sind, mit der entsprechenden Infusionslösung habe ich ja noch Chemotherapie gehabt. Jetzt waren es 17 Tage, glaube ich, insgesamt. Und, ja, meine Frau hat mich besucht, die ist dann von Rostock gekommen und hat hier wieder in einem Gästehaus übernachtet.
Man fühlt sich natürlich noch nicht so, aber ich muss sagen, ich bin viel, viel schneller wieder auf die, ich sage es jetzt mal, auf die Beine gekommen, als es nach den Chemotherapien war. Und das hat mir eigentlich sehr viel Hoffnung gemacht. Und ich gehe davon aus, dass es vielleicht doch eine vollständige Remission geben könnte.
Tagesspiegel: Wann wussten Sie, dass die Therapie erfolgreich war?
Die endgültige Bestätigung bekommt man erst, wenn das dort beim Bearbeiter oder labortechnisch dort bearbeitet wird. Und natürlich hat man dann so ein bisschen Bedenken: Na, hoffentlich klappt das auch. Ich hab da eigentlich erst mal gar nicht so so stark drüber nachgedacht, dass es vielleicht doch nicht klappen könnte. Ich war eigentlich überzeugt und positiv eigentlich, dass das funktionieren wird. Und es muss. Und so muss man auch die Einstellung dazu haben. Und es hat ja gezeigt, dass es geklappt hat.
Tagesspiegel: Wie liefen die Nachsorgeuntersuchungen?
Es ist ja jetzt erst mal das letzte CT gewesen in diesem Jahr. Es war sehr engmaschig alle drei Monate. Und auch die Blutuntersuchung. Und wenn das heute und ich gehe davon aus, da bin ich eigentlich optimistisch, mir geht es eigentlich auch persönlich ganz gut, wenn das in Ordnung ist, wenn dieses CT das Bild zeigt wie das vorherige. Und man kann sagen, die Zellen sind bekämpft, dann kann ich damit rechnen, , dass ich eine vollständige Remission haben kann. Und natürlich hat man das immer wieder im Hinterkopf. Man muss seinen Körper immer wieder abtasten und immer wieder schauen, wie geht es dir? Geht es dir schlecht? Das wird auch die ganzen Jahre, das wird ein Leben lang, wird man immer im Hinterkopf haben, kommt es noch mal wieder? Ist irgendetwas? Und dann hat man vielleicht auch mal wieder einen blöden Traum. Das kann auch sein. Und wo man dann doch wieder erschrickt, oh Gott, es könnte ja wieder was kommen. Und ja, ich hoffe, dass das jetzt so bleibt.
Man muss auch selbst was tun. Ich bin jetzt in der letzten Zeit nicht viel zum Sport gekommen. Das merke ich auch wieder. Aber ich zu Hause walke ich noch. Auf der Hohen Düne ist das möglich, eine schöne Runden zu drehen. Also man muss was tun für seinen Körper.
Tagesspiegel: Was hat die Krankheit mit Ihnen und Ihrer Familie gemacht?
Ich bin eigentlich sehr positiv und kann auch viele Dinge sehr gut wegstecken und mache mir zurzeit ein bisschen mehr Sorgen um meine Frau, weil die hat natürlich jetzt die ganzen Jahre sehr viel mit durchgemacht. Und da muss ich jetzt sehen, dass wir mal irgendwas wieder machen. Wir waren zwar jetzt letztens auch noch wieder ein bisschen unterwegs mit dem Jungen. Und ich habe mir auch mal wieder was gegönnt. Ich war auf dem Nürburgring zum DTM-Rennen. Das war wunderbar. Der hat mich begleitet. Und jetzt wollen wir nächstes Jahr noch mal nach Norwegen, was wir uns schon immer vorgenommen haben. Das ist eine wunderschöne Gegend. Wir werden mit der Fähre dann von Rostock rüber bis zur Trelleborg und dann mit dem Auto bis nach Narvik und dann auf die Lofoten rauf. Und wir waren schon einmal da, mit der AIDA. Ist viele Jahre her. Und das wollen wir noch mal machen. Und das haben wir uns auch einiges jetzt vorgenommen. Und Professor Penack hat gestern noch mal zu mir gesagt: "Herr Jürß, Sie müssen mal den Kopf frei kriegen von Ärzten und alles, Sie müssen mal wieder richtig leben." Und das sehe ich auch so.
Tagesspiegel: Was würden Sie jemandem, der mit einer Diagnose konfrontiert ist, mit auf den Weg geben als Ratschlag?
Ich kann nur allen raten, die sich mit einer derartigen Krankheit rumschlagen, ich sage es mal so, dass Sie sich einmal alleine kundig machen müssen, was ist das für eine Krankheit? Dass Sie nicht gleich den Kopf hängen lassen, sondern positiv denken, nach vorne schauen und immer wieder was selber tun müssen, um die entsprechenden Ärzte zu konsultieren, um auch die richtigen Fachkliniken zu nehmen. Ich glaube, wenn ich das bei mir zu Hause in Rostock gemacht hätte, wäre ich nicht so weit, wie ich heute bin.